Humboldt-Universität zu Berlin - Lebenswissen­schaftliche Fakultät - Institut für Psychologie

Das Referat aus studentischer Sicht

von Benedikt Sturzenhecker



Der Referent, die Referentin

Mit Themenangabe und Literaturliste ausgerüstet macht sich der Referent an die Arbeit. Hat er Glück bei der Literatursuche (und dies ist nicht gewährleistet, man hat leicht das Gefühl, dass genau die Bücher, die man sucht, immer ausgeliehen sind) ist nun ein oft großer Berg unbekannter Texte durchzuarbeiten, vielleicht sogar in Englisch. Muss man alle lesen? Welcher ist grundlegend? Schwer zu beantworten! Man wühlt sich rein, blättert, liest hier, da was, wird verwirrt, zuviel ist unbekannt, noch nie gehört, anscheinend hat man wohl gar keine Ahnung. Na ja, jetzt aber mal einen Aufsatz konsequent durchgearbeitet: Je mehr man liest, desto leichter vergisst man die eigene Fragestellung, vergisst, was man selber oder die Kollegen im Seminar eigentlich herausfinden wollen. Immer mehr geht es nur noch darum, den Haufen Literatur irgendwie zusammenzufassen. Man liest allein, versteht so manches nicht, hat niemanden, um es zu besprechen und Unklares zu diskutieren und man hilft sich über die schweren Stellen hinweg, indem man sie einfach zitiert. (Ich habe meistens die Zitatstellen nicht einmal selber abgetippt, sondern ich habe sie aus dem Buch kopiert, zerschnitten und in meinen Text geklebt. Wer mich und meine Masche kannte, wusste bei jedem Kopie-Zitat: Aha, da hat er es nicht verstanden!)

Überhaupt versucht man leicht, sich hinter einer Nachahmung der Wissenschaftssprache und hinter Respekt einflößenden Autorennamen zu verstecken. Was man selbst nicht richtig verstanden hat, kann man erst recht nicht an andere weitervermitteln. Die Mühen, sich überhaupt durch die Literatur zu fressen, lassen häufig keine Möglichkeit und Zeit, sich eine gute Methode zur Weitergabe auszudenken. Aus lauter Hilflosigkeit baut man einen „Blender“ auf, der heuchelt, der Referent habe noch alles im Griff. Man blufft! Man hat Angst, die eigenen Probleme mit den Texten zuzugeben, weil man die Folgen dieses Bekenntnisses fürchtet. Man fürchtet, vielleicht den Schein nicht zu bekommen und man will nicht „dumm“ dastehen. Auch ist Hilfe meistens weit weg. Die anderen aus dem Seminar kennt man noch nicht, wagt man den Dozenten zu fragen (wenn man ihn überhaupt antrifft), verlässt man ihn nach zehn Minuten schnell abgefertigt und oft noch viel verwirrter als vorher.

Die Problemstellung oder der Schlamassel des kleinen Bluffs

So bastelt man sich dann mühsam einen Text zusammen, der eher recht als schlecht die Literatur zusammenfasst und versucht, die eigenen Verständnisprobleme zu verdecken. Je mehr Schwächen man im eigenen Text kennt, desto größer die Angst, Dozenten und Kommilitonen würden diese Lücken aufdecken. Welch eine Blamage! Im Seminar liest man erst mal schön langsam und monoton einen seitenlangen Text vor. Je länger das dauert, desto kürzer die Zeit zum Nachfragen! Kopien sind ja an die Kommilitonen verteilt, verstehen sie auch den Text nicht, so bleibt ihnen doch der Trost, dass sie dieses sogenannte „paper“ zu Hause abheften dürfen.

Hat man sich erst in das Bluffen verrannt, so versucht man es auch im Seminar gegen kritische Nachfragen durchzuziehen. Man versteckt sich wieder hinter grossen Namen und stottert einige komplizierte Antworten heraus. Dieser Blufftypus wird auch der „kleine Bluff“ genannt. „Klein“ auch deshalb, weil er sehr leicht zu enttarnen ist. Je mehr kritisch nachgefragt wird, desto bröckeliger wird er und die Lücken des Referenten liegen offen zutage. Gerade das wollen die Kommilitonen aber dem Referenten oft nicht antun und sie schweigen. Letztendlich ist hiermit keinem geholfen. Der Referent hat wenig bis nichts kapiert, er hat sich nur Angst eingehandelt und die Kommilitonen haben auch keine Chance, etwas zum Thema zu lernen. Mit dieser Art Stoffvermittlung kann keine sinnvolle gemeinsame Diskussion entstehen, weil sie nur von Angst und Rücksichtnahme bestimmt ist. Welche Möglichkeiten zu einem anderen Umgang mit diesem Problem könnte man dem Referenten vorschlagen?